Redebeitrag auf der Zwischenkundgebung der Demonstration “Kein ruhiges Remagen” am 16. November 2019

Wir stehen dieses Jahr am neuen jüdischen Friedhof in Remagen und es ist so ganz anders als in den vorhergegangenen. Sechs Wochen nach dem neonazistischen, antisemitischen, antifeministischen und rassistischen Anschlag auf die Synagoge Halle. Zwei Menschen wurden dabei ermordet. Es war ein Anschlag nach dem Modell des Norwegischen Rechtsterroristen und Amokläufer Andreas Breivik. Die Polizei unternahm nichts zum Schutz der jüdischen Gemeinde und ihres Gebetshauses.


Nach dem 9. Oktober ging ein Aufschrei durch ganz Deutschland. Aufschreien ist konsequenzlos und Teil von den Stunden der Symbolpolitik. Dann ist von “Empörung” oder “Überraschung” die Rede. So ein Aufschrei sagt ‘lass uns etwas gegen den aufkeimenden Antisemitismus machen!’ Woche für Woche, Monat für Monat. Oft das Gleiche. Mit erhobenem Zeigefinger wird gemahnt, gefordert und gepoltert – am liebsten von den Anderen, gekehrt wird nie vor der eigenen Haustür!

Berlin ist vor kurzem zur Hauptstadt des Antisemitismus gekürt worden. – Und immer wieder heißt es währet den Anfängen! Ich frage euch? Was für ein Anfang?

Wir stehen dieses Jahr am neuen jüdischen Friedhof in Remagen, der im späten 19. Jahrhundert als letzte Ruhestätte für die Jüdische Gemeinde in Remagen angelegt wurde. Der alte jüdische Friedhof in Remagen wird sogar auf das 13. Jahrhundert zurückdatiert. Denn schon seit dem Mittelalter gab es in Remagen jüdisches Leben. Die Gemeinde war von der Judenverfolgungen im Jahr 1298 und in der Pestzeit zwischen 1348 und ’49 betroffen. Um 1400 siedelten durch Schutzbriefe geschützte Judinnen und Juden wieder in Remagen an. Viele wurden zuvor aus der Stadt Köln vertrieben.

1933 gab es schlussendlich nur noch 25 jüdische Einwohner_innen in Remagen. Bis 1940 haben mehrere von ihnen auf Grund der Folgen des wirtschaftlichen Boykotts, der zunehmenden Entrechtung und der Repressalien die Stadt verlassen. Bei dem Novemberpogrom 1938 wurde die Synagoge zerstört. Mitglieder der SA zerschlugen die Schaufenster und Auslagen der Geschäfte von Fassbender und Levy. Die Faschisten zerstörten die Wohnungen der Familien Fassbender und Marx. Im April und Juli 1942 wurden die letzten 14 jüdischen Einwohnenden der Stadt deportiert, sie hatten zuletzt in drei sogenannten “Judenhäusern” gelebt. Fast alle von ihnen fanden durch die NS-Gräueltaten ihren Tod.
Nicht einmal 80 Jahre später erfahren wir, wie der Antisemitismus immer noch um sich greift. Weltweit und immer noch in Deutschland. Deutschland, das Land mit der Hauptstadt des Antisemitismus, 2019 – nicht 1933.

Wissenschaftliche Analysen wie die Mittestudie “Deutsche Zustände” haben über ein Jahrzehnt das Fortbestehen antisemitischer Ideologie belegt. Die Übergriffe auf jüdische Menschen und auf das jüdische Leben haben in Deutschland nie aufgehört. Dies alles zeigt schon, dass die sogenannte “Stunde Null” ein Mythos ist! Sie diente wohl eher der deutschen Tätergeneration und ihren Nachfahren zur Beruhigung ihres Schuldgefühls. Alles gut? Mit Nichten!
Es waren Neonazis höchsten Ranges, welche in den Institutionen Deitschlands Karriere machten, nicht die Opfer des Nationalsozialismus! Gibt es mehr zur sogenannten Entnazifizierung zu sagen?

Der Antisemitismus hat kontinuierlich und konstitutiv in Deutschland weiter gewirkt und um sich geschlagen. Unabhängig der politischen Selbstverortung – ob links, rechts oder in der sogenannten ‘Mitte’: Antisemitismus war immer und ist es noch immer: eine Abwehrhaltung gegen die Moderne, eine Absage an die Offenheit, das Kosmopolitische und (wie man heute sagen würde) an die Globalisierung von Ideen.
Laut einer Studie der TU Berlin hat der Antisemitismus im heutigen Zeitalter deutlich zugenommen und hat sich über das Internet so weit verbreitet, wie noch nie zuvor.

Nicht zuletzt deswegen denken viele jüdische Menschen wieder daran, nach Israel auszuwandern, dem vermeintlich letzten Schutzraum für sie. Doch auch Israel scheint zur Zeit nicht Sicher zu sein. Die Israelische Bevölkerung sieht sich immer wieder größeren Raketenangriffen ausgesetzt, fast 200 Raketen pro Tag bedrohen den Schutzstaat. An dieser Stelle möchte ich noch einmal an die Wichtigkeit dieses Staates für alle verfolgten Menschen erinnern.
Und wenn dann bei der großen TV-Show zum Fall der Berliner Mauer am 09. November die Botschaft ‘Schluss mit der Besatzung’ auf Hebräisch über die Fernseher flackert, wissen alle wo Deutschland steht.

Deutschland, einig Täterland!


Jedes Jahr marschieren hier in Remagen ein paar hundert Neonazis auf, um ‘1 Million’ Toter Kriegsgefangener zu Gedenken. In den Rheinwiesenlagern wurden zwischen 8.000 und 40.000 NS-Verbrecher als Kriegsgefangene inhaftiert Es ist gänzlich ausgeschlossen,das dort eine Million Männer gestorben sind,ohne die geringste Spur zu hinterlassen.

Es heißt in Deutschland: Die Geschichte wäre ordentlich durch- und aufgearbeitet worden, so das man wieder unverkrampft Deutsch sein wolle und könne. Man wolle sich endlich auch mal wieder unbeschwert am Nationalismus erfreuen. Die Bundesregierungen (seit Rot/Grün Ende der 90er Jahre) präsentieren sich als Aufsrbeitungsweltmeister und wollen gar anderen, welche nicht aus der Geschichte gelernt hätten, belehren, wie man es richtig mache.
An die Opfer zu erinnern heißt auch, zu der Geschichte des Nationalsozialismus zu stehen und sie nicht vergessen zu machen. Deswegen stehen wir heute hier und nicht diejenigen, die vorgeben aus der Geschichte gelernt zu haben und nur eins durch ihre Abwesenheit belegen: das Vergessenmachenwollen!

Rheinisches Antifaschistisches Bündnis gegen Antisemitismus

Remagen, 16.11.2019