PRESSEMITTEILUNG
Köln, 04.10.2020

“Wer Antisemitismus, Sexismus und Antifeminismus oder Rechtsextremismus früh erkennen und unmöglich machen möchte, benötigt Sensoren. Halle macht einmal mehr deutlich, dass die deutsche Gesellschaft nicht über die notwendigen Werkzeuge hierfür verfügt,” sagt Maxi Hellfeldt für das Rheinische Antifaschistische Bündnis gegen Antisemitismus (RABA).

Wir senden Ihnen unten folgend den gemeinsamen Aufruf zu einer Kundgebung im Gedenken an den Anschlag auf die Synagoge von Halle an Jom Kippur vom 9. Oktober 2019, die am 8. Oktober 2020 auf dem Bahnhofsplatz in Köln stattfindet, zu der wir gemeinsam mit der Deutsch-Israelischen Gesellschaft e.V. Köln und der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit e.V aufrufen.

“Die Ideologie des Täters fällt nicht vom Himmel. Dennoch konnte sich der Rechtsterrorist wie in offenbar Deutschland üblich, Jahrzehnte lang unbehelligt und akzeptiert in einer Gemeinschaft bewegen. Eine Gemeinschaft, die selbst die mörderische rechte Ideologie meinte aushalten zu können, bagatellisierte oder sogar begrüßt hat. Als der im Gemeinschaftsgefühl erglühete Antisemit, Sexist und Antifeminist und Rassist vor der Synagoge vorfuhr, war es erst der Selbstschutz der gut organisierten jüdischen Gemeinde in Halle, welche dem Rechtsterroristen Grenzen aufzeigte.

Ein Selbstschutz aus Erfahrung und traditioneller Notwendigkeit. Denn die lebensbedrohliche Situation für Menschen jüdischen Glaubens ist in Deutschland “Leitkultur”. Die jüdische Gemeinde erfuhr keinen Schutz der Sicherheitsbehörden des Staates, an den sie sich in ihrer Situation und vor Yom Kippur gewandt hatte. Unsere Lebenserfahrung ist, dass auf Behörden und Staat kein Verlass ist, wenn es um die Rechte und Anerkennung von Jüdinnen und Juden, Menschen mit Migrationshintergrund, Schwarzes Leben, Geflüchtete sowie queeres Leben und weiblich gelesene Personen geht. Deshalb wollen wir uns nicht in die Jahrzehntelangen Appelle einreihen, die immer mehr Polizei und Staat fordern. Wir fordern eine Gesellschaft, in der Demokratie wehrhaft ist und die emanzipatorischen Rechte durchgesetzt werden vor den Feinden von Freiheit, Gleichheit und Solidarität,” fordert Maxi Hellfeldt für RABA.

KUNDGEBUNGS-AUFRUF

KEIN VERGESSEN – KEIN VERGEBEN!
GEDENKEN AN DIE OPFER DES
ANSCHLAGS VON HALLE

08.10.2020 | 17:30 | Vorplatz des Kölner Hauptbahnhofs

Am 09.10.2020 jährt sich erstmalig der rechtsterroristische Anschlag auf die Synagoge in Halle (Saale). Anlässlich dieses Jahrestages rufen wir am Vorabend, dem 08.10.2020, ab 17:30 Uhr auf dem Vorplatz des Kölner Hauptbahnhofs zu einer Kundgebung auf, um der Ermordeten zu gedenken und den Überlebenden gegenüber unsere Solidarität auszudrücken

Die jüdische Gemeinde in Halle entging an Jom Kippur nur knapp einem Blutbad. Der Anschlag war lange geplant und wurde live ins Internet gestreamt. Dass die 52 Besucher*innen der Synagoge überlebten, verdanken sie dem Selbstschutz der jüdischen Gemeinde in Form einer massiven Holztür, nicht aber den staatlichen Behörden. Denn obwohl von ihnen zum hohen Feiertag mehrfach um Polizeischutz gebeten wurde, blieb dieser aus. Auch als die Polizei von den Besucher*innen wegen des Anschlags alarmiert wurde, benötigte sie beinahe 15 Minuten, bevor sie am Tatort eintraf. Auch deshalb forderte der Anschlag Menschenleben. Die Passantin Jana L., die den Täter auf die laute Explosion ansprach, sowie Kevin S., der gerade Gast im kurdischen Imbiss „Kiez Döner“ war, wurden kaltblütig ermordet. Die Mitarbeiter*innen des Imbiss sowie weitere Gäste, ein Kurierfahrer an der Synagoge, ein Passant mit somalischem Hintergrund und ein Ehepaar, das dem Täter seine Autoschlüssel nicht aushändigen wollte, überlebten verletzt — zum Teil schwer.

In Halle mag es sich um einen Einzeltäter gehandelt haben, doch keineswegs um einen Einzelfall. Der Attentäter Stephan B. bewegte sich in einem global verbandelten und im Internet agierenden Netzwerk von Neonazis, die nicht nur Antisemitismus und Rassismus eint, sondern auch ihr Sexismus und Antifeminismus. Der Anschlag von Halle wie auch der von Hanau stehen in einer jahrzehntelangen Tradition neonazistischer
Organisation und Gewalt in Deutschland. Weder hat der Antisemitismusnach der Shoah plötzlich aufgehört zu existieren, noch ist der Rassismus überwunden, der sich insbesondere in der frühen Nachwendezeit, aber auch in den letzten Jahren, immer wieder gewaltsam entlud. Dabei zeigen aktuelle Entwicklungen auch ein Jahr nach dem Anschlag von Halle, wie folgenlos die Beteuerungen aus Politik, Medien und Teilen der Zivilgesellschaft verhallt sind. Insbesondere der Antisemitismus hat im Zuge der großen Proteste gegen die
Corona-Maßnahmen der Bundesregierung Hochkonjunktur.

Beim Anschlag in Halle vor fast einem Jahr wurden zwei Menschen viel zu früh aus ihrem Leben gerissen und ihre Familien sowie Freundinnen und Freunde trauern noch immer. Auch die Überlebenden werden die Tat und die Angst, die sie fühlten, nicht vergessen. Darüber hinaus hat die Tat auch bei Angehörigen anderer jüdischer Gemeinden ihre Spuren hinterlassen. All diesen Menschen gilt unsere Solidarität. Wir fordern daher dazu auf, gemeinsam der Opfer des Anschlags von Halle zu gedenken und damit ein deutliches Zeichen gegen Antisemitismus und Rassismus in unserer Gesellschaft zu setzen.

Aufruf von:

_Kölnische Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit_
_Deutsch-Israelische Gesellschaft Köln_
_Rheinisches antifaschistisches Bündnis gegen Antisemitismus_
_Bündnis gegen Antisemitismus Köln_
_Antifaschistische Gruppe CGN_