Wir rufen die Teilnehmenden des Cologne Pride 2020 anlässlich des Christopher-Street-Days (CSD) in Köln dazu auf, sich nicht hinter das nationalistische Motto “Einigkeit! Recht! Freiheit!” zu stellen!

Die tatsächlichen Lebensbedingungen haben sich für queere Menschen in den letzten Jahren nicht zum Besseren gewandelt. Das Bundesinnenministerium musste kürzlich die massive Zunahme von Gewalt gegenüber queeren Menschen eingestehen. Alleine in Berlin wurden 261 Übergriffe in 9 Monaten registriert. Die große Mehrheit von 81 Prozent schildert die Benachteiligung von homo- und bisexuellen Personen.[1] Tagtägliche Anfeindungen und Ausgrenzungen auf Schulhöfen, an Arbeitsplätzen oder in der Nachbarschaft sind deutscher Alltag für queere Menschen. Wenn bei nationalen Ereignissen zur Hymne mit den Zeilen “Einigkeit und Recht und Freiheit” angesetzt wird, fühlen sie sich geradezu verhöhnt.

Der bundesdeutsche Staat nutzt die ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nicht, um die Gleichstellung aller seinem Gewaltmonopol unterworfenen Menschen durchzusetzen. Insofern ist die Entscheidung, den ColognePride unter dem Motto “Einigkeit! Recht! Freiheit!” in eine Parade für ein solches Deutschland zu verwandeln, ein offener Affront für viele queere und andere marginalisierte Menschengruppen hierzulande: nicht-weiße, papierlose, arme und disabled Menschen.

Queeres Leben braucht kein Deutschland!

Die Kölner CSD-Parade als größte Deutschlands bildet einen Querschnitt der Gesellschaft ab. Darin sind Antisemitismus oder Rassismus verwurzelt und genauso kommen hier verschiedene Ansätze des deutschen Nationalismus zusammen – vom völkischem Nationalismus der AfD über den Jubel-Patriotismus bis zu linken Formen. Dass vom Kölner CSD keine Gesellschaftskritik zu erwarten ist, zeigte bereits das Motto “Stolz bewegt” aus 2010.[2] Die extreme Rechte verstand das Spiel mit dem “Stolz” offenbar als Einladung und wollte nun auch beim Pride mitmarschieren. Der ProKöln-Wagen rollte zwar wegen eines formellen Behelfs der CSD-Organisation nicht, doch zettelte das rechtsextreme Manöver 2013 eine rassistische Debatte um “muslimische” Homophobie an und machte der queeren Community ihre Uneinigkeit bewusst.[3]

Die Regenbogenfahne ist nicht ohne Grund keine Nationalflagge.

Die CSD-Veranstaltenden beziehen sich unkritisch und selbstvergessen auf die bundesrepublikanische Rechtsordnung, die Nationalhymne und andere nationalistische Symbole. Die deutsche Nation stellen sie als blütenweißes Papier dar, das sich beliebig beschreiben ließe. Dabei ist Deutschland keine unbestimmte Begriffshülse, die für jede und jeden ein Scheibchen nationaler Identität bereithält. Dies belegt ja gerade die Notwendigkeit einer Demonstration von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transsexuellen, Transgendern, Intersexuellen und nichtbinären Menschen, die für ihre Rechte, Anerkennung und Akzeptanz auf die Straße gehen müssen. Nationalstaaten sind den Menschen gegenüber immer gewaltförmig, wenn sich auch die jeweiligen Ausformungen deutlich unterscheiden mögen. Die Identifikation mit der vermeintlich “eigenen” Nation bedarf stets der Abgrenzung zu »Anderen« – Diskriminierung und Unterdrückung sind darin bereits angelegt.[4] Die Erinnerung an den Christopher-Street-Day markiert einen historischen Wendepunkt in der Unterdrückung von Menschen aufgrund ihrer Sexualität oder geschlechtlichen Identität. In einem New Yorker Stadtteil wurde sich aus dem Szene-Treff “Stonewall” heraus erstmals und kollektiv gegen die queerfeindliche Polizeigewalt und die heteronormativen Zustände aufgelehnt.

Der Stonewall-Aufstand entfaltete eine globale Strahlkraft und ermutigt bis heute queere Menschen auf der Welt, sich für die Durchsetzung ihrer Rechte einzusetzen und die Anerkennung ihrer Geschlechteridentität einzufordern – aus gutem Grund vertrauen sie dabei weder auf den Staat noch auf die Nation.[5] Wer dem Nationalismus und dem Populismus wirklich entgegenwirken will, sollte vielmehr universale und kosmopolitische Lebensmodelle gegen die Nationalist_innen verteidigen. Es geht schließlich um nicht weniger als eine Antwort auf die soziale Frage, ob und wie wir zukünftig gemeinsam und miteinander leben wollen.

 

Rheinisches Antifaschistisches Bündnis gegen Antisemitismus – RABA

Köln, 06. Dezember 2019

 

Der Aufruf ist auch via Facebook: https://www.facebook.com/257268208389112/posts/548852749230655 und via Twitter: https://twitter.com/RABA_CGN/status/1202859366359146496 veröffentlicht worden.

 


Quellen und Fußnoten

[1] 261 Übergriffe in Berlin meldet die Morgenpost am 02.12.2019 aus der Kriminalitätsstatistik Berlin (Vgl. https://www.morgenpost.de/berlin/article227805551/Berlin-Zahl-der-Uebergriffe-gegen-Homosexuelle-steigt-stark.html). Das Meinungsklima ergibt sich aus den Ergebnissen der bevölkerungsrepräsentativen Umfrage “Einstellungen gegenüber lesbischen, schwulen und bisexuellen Menschen in Deutschland”, S. 155 (http://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/Downloads/DE/publikationen/Umfragen).

[2] queer.de berichtet über die “Stolz bewegt” – Diskussion um 2010 (vgl. https://www.queer.de/detail.php?article_id=12005)

[3] #Queer.de berichtet über rechtsextreme Unterwanderungsversuche des ColognePride um 2013 (vgl. https://www.queer.de/detail.php?article_id=19440)

[4] vgl. I Cant Relax In Deutschland, das Buch ist abrufbar unter https://issuu.com/unterm-durchschnitt/docs/i-cant-relax-in-deutschland, S. 5 ff.

[5] Alternativer CSD Köln erinnert an die Riots. Hintergründe zu den Stonewall-Riots u.a. bei Wikipedia (https://de.wikipedia.org/wiki/Stonewall)