Redebeitrag auf der Kundgebung “Stoppt den antisemitischen Terror und Rassismus” am 10. Oktober in Köln

Gestern an Yom Kippur sind wir einem Massaker auf die Jüdische Gemeinde in Halle nur knapp entronnen. Dennoch mussten zwei Leute bei diesem grausamen, antisemitischen, antifeministischem und rassistisch-nationalistischen Anschlag ihr Leben lassen. Wir sehen den Angriff auf den kurdischen Imbiss als verbindende Klammer der Tat der neonazistischen Ideologie! Rassismus und Antisemitismus gehen für völkische Nationalist_innen oft Hand in Hand.
Viele unter uns sind seit gestern entsetzt ob der hier zu sehenden Gefahrenlage für Jüdinnen und Juden in Deutschland. Doch für viele unter uns birgt das hier Offenbarte die Realität. Übergriffe auf (vermeintlich) jüdische Mitmenschen sind keine Seltenheit und auch Angriffe und Attentate stehen fast schon an der Tagesordnung. Attentate und Angriffe auf Yom Kippur reihen sich geschichtlich ein, erinnert sei an dieser Stelle an das Progrom im Ghetto von Lodz 1940 oder die Angriffe der Arabischen Staaten auf Israel 1973.
Wenn Frau KrampKarrenbauer von einem Alarmsignal redet, dann frage ich mich, wie viele Alarmsignale es noch geben soll? Die Alarmzeichen prägen die gesamte Nachkriegsgeschichte: 70 Jahre lang Hakenkreuze an den Häuserwänden unserer Straßen, geschändete jüdische Friedhöfe, die seit Jahrzehnten wiederholten eindringlichen Appelle betroffener jüdischer Opfer dieser deutschen Strassengewalt, der fortwährende Rassismus und Rechtsterrorismus! Halle ist das Ergebnis aus Jahrzehnten der Ignoranz dieser Alarmsignale. Es gab immer wieder rechtsterroristische Anschläge, etwa die bis heute nicht restlos aufgeklärte Ermordung von von Shlomo Lewin und seiner Lebensgefährtin 1981 oder der Bombenanschlag in Düsseldorf Werhahn im Jahr 2000 – ebenfalls nicht aufgeklärt.
Ein Alarmsignal ist die Politik, für welche die Bundesregierung steht.
Ein Alarmsignal ist diese Bundesregierung, welche die Streichung von Geldern für antifaschistische und antirassistische Projekte wie EXIT und Co. forciert und damit dem um sich schlagenden Faschismus das Wasser trägt.
Ein Alarmsignal ist es wenn Nazis an Rosh Hashanah mit antisemitischen Hetzparolen durch Dortmund und Berlin – von deutschen Polizisten geschützt – marschieren können!
Ein Alarmsignal ist es auch, wenn der IS-Unterstützer Erdogan mit bundesdeutscher Duldung und mit Hilfe deutscher Waffen einen völkerrechtswidrigen Krieg gegen die Kurden in Nordsyrien führt und wenn Unterstützer_innen der Terrororganisationen Hisbollah und Hamas als Gesprächspartner_innen für deutsche Politiker_innen gelten.
Der Faschismus schlägt weltweit zu. Bekämpfen wir den Faschismus!
Wenn Bundespräsident Walter Steinmeier vom „Unvorstellbaren“ redet, dann ist nur eines unvorstellbar: Herr Steinmeier, was haben Sie in den letzten Jahren in Deutschland und der EU nicht mitbekommen? Wie viele Morde und Terroranschläge sind noch nötig, bis auch Sie im hier & jetzt ankommen? Die politische Rhetorik vom ständigen Empört-sein und dem nicht Vorstellen-können verfängt nicht mehr in dem Deutschland, in dem rassistische Hetze, antisemitischer Terror und neonazistische Gewalt zur Tagesordnung gehören! Der Verwaltungsdirektor der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf sagt: „Nach den schlechten Gedanken kommen die schlechten Worte, und denen folgen dann die schlechten Taten.“ Es ist die AfD, die permanent zündelt, ihre Einladung in den demokratischen Diskurs nutzt und den Nährboden für Rechtsterrorismus wie in Halle zu schaffen und wie in Chemnitz Schulter an Schulter unter Faschist_innen marschiert. Der Anschlag folgt auf einen mutmaßlichen, islamistischen Anschlagsversuch in Berlin. Es ist schon lange nicht mehr kurz vor zwölf!
Der rechtsterroristische antisemitischer Anschlag, der sich gestern in Halle ereignet hat und die jüdische Gemeinde schwer getroffen hat, ist ein Angriff auf unsere offene Gesellschaft. Doch wer sagt, dass das ein Angriff auf uns alle ist, verkennt die neonazistische Ideologie dahinter. Denn Rechtsextreme von der AfD bis zu Neonazis von Combat18 haben nicht “uns alle” im Visier, sondern nur diejenigen, welche in ihrer völkischen Ideologie als “Andere” und die vermeintlich “Fremde” gelten. Wir sind nicht alle gleich betroffen. In erster Linie sind es in dieser faschistischen Denke nämlich Jüd_innen, Muslim_innen, Antifaschist_innen, Gewerkschafter_innen, People of Colour, LGBTQ oder Feminist_innen. Nur Fast durch Zufall hat der Täter keine Moschee und kein linkes Zentrum angegriffen.
Wenn selbst Synagogen keine Schutzräume mehr sein können, wo können wir uns noch Sicher fühlen? Max Privorotzki, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Halle, kritisiert die Polizei im Gespräch mit dem JFDA deutlich: Gut 10 Minuten und ein zu langes Telefonat habe es gebraucht, bis die Polizeikräfte eintrafen, nachdem er den bewaffneten Angriff auf die Synagoge meldete. Die Sicherheitssituation für die Jüdinnen und Juden in Sachsen-Anhalt sei katastrophal: Um Schutz müssen sie sich selbst kümmern. Die Sicherheitskraft der jüdischen Gemeinde, welche den Angriff entdeckt hat und die Türen versperrte, hat ehrenamtlich gearbeitet. Auch der ZDJ kritisiert im ARD Brennpunkt den mangelnden Polizeischutz. Er sagt:  Wir haben mehrmals gesprochen, dass wir uns Polizeischutz vor Synagogen und Gemeinden auch in Sachsen-Anhalt wünschen, genau wie in großen Städten: Berlin, München, Frankfurt. Aber uns wurde immer gesagt: Alles ist wunderbar, alles ist super, alles ok.
Der Sicherheitsmann in der Synagoge war Ehrenamtler, das gibt Mut! Denn es gibt Leute, die sich für die Sicherheit der Judinnen und Juden aufopfern. Viele von ihnen stehen jetzt hier mit uns in Köln und mit der jüdischen Gemeinde Schulter an Schulter.
Es erschreckt, dass trotz der Aufstockung der Polizei und den verschärften neuen Polizeigesetzen, die doch angeblich so viel mehr Sicherheit versprechen und das Allheilmittel zur Terrorbekämpfung sein sollten, der Gesellschaft immer wieder und immer mehr solche und ähnliche Taten um die Ohren fliegen. Nichts ist wunderbar. Nichts ist super. Nichts ist ok! Die Gesellschaft versagt als Ganze!
Der Verfassungsschutz schützt Nazis, obwohl er doch eigentlich uns schützen soll! Wenn ein Polizeigewerkschaftler sagt, das man sich neben der Terrorbekämpfung jetzt nich auch noch um den Rechtsextremismus kümmern könne, dann ist das Verhältnis klar. Wir brauchen mehr Schutz und Sicherheit!
Die Stadt Köln plant zurzeit linke, alternative und kulturelle Orte und Projekte aus dem Stadtbild zu entfernen. Die Stadtentwicklung greift mitten in Köln die Schutzräume derjenigen an, die von Antisemitismus, Rassismus oder Sexismus betroffen sind oder den gesellschaftlichen Rechtsruck abwehren wollen. Die Notwendigkeit solcher Räume für uns alle ist durch Halle noch einmal in aller Deutlichkeit zu betonen!
Auch Israel als Schutzstaat gewinnt weiterhin an Wichtigkeit. Jedoch schlägt einem in vielen Kommentarspalten Israelfeindlichkeit entgegen. Die weiterführende Dämonisierung dieses Landes trotz des Anschlages sind zutiefst zu verurteilen! Die vermeintliche Israelkritik ist die populärste Form des Antisemitismus in Deutschland und nicht auf die politische Rechte beschränkt. Die Sicherheit Israels wir auch durch das Handeln der letzten Bundesregierungen, immer wieder unter SPD-Führerschaft im Außenministerium bedroht. Beispielsweise indem durch Verhandlungen die Interessen des Iranischen Regimes gestärkt und durchgesetzt werden sollen. Der Iran möchte Israel auslöschen!
Wenn Polizei und Medien nun beim Halleischen Attentäter nun von einem Einzeltäter sprechen, verkennen sie die grausame und menschenverachtende Ideologie. Alleine eine solche Tat auszuführen heißt nicht, Einzeltäter zu sein. Es gibt Vorlagen wie Christchurch oder Pittsburgh. Es gibt Waffenbeschaffer. Es gibt Baupläne für Waffen in einschlägigen Foren. Es gibt Netzwerke, in denen die mörderische Ideologie verbreitet und sich Gleichgesinnte gegenseitig festigen. Die Geschmacklosigkeit, seine Taten live im Internet zu verbreiten um einen MärtyrerStatus zu erlangen, liegt ganz im Geiste anderer Attentäter wie zb. Anders Behring Breivik.
Doch wir leben nicht vom Hass der anderen gegen die Juden, sondern von unserer Liebe zum Jüdischen!
Der Philosoph Theodor Adorno formulierte seinen kategorischen Imperativ, der heute mehr denn je wieder Beachtung in linker Politik finden muss. Die Forderung, daß Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung. Sie geht so sehr jeglicher anderen voran, daß ich weder glaube, sie begründen zu müssen noch zu sollen. Ich kann nicht verstehen, daß man mit ihr bis heute so wenig sich abgegeben hat. Sie zu begründen hätte etwas Ungeheuerliches angesichts des Ungeheuerlichen, das sich zutrug. Daß man aber die Forderung, und was sie an Fragen aufwirft, so wenig sich bewußt macht, zeigt, daß das Ungeheuerliche nicht in die Menschen eingedrungen ist, Symptom dessen, daß die Möglichkeit der Wiederholung, was den Bewußtseins- und Unbewußtseinsstand der Menschen anlangt, fortbesteht. Es war die Barbarei, gegen die alle Erziehung geht. Man spricht vom drohenden Rückfall in die Barbarei. Aber er droht nicht, sondern Auschwitz war er; Barbarei besteht fort, solange die Bedingungen, die jenen Rückfall zeitigten, wesentlich fortdauern. Das ist das ganze Grauen.
Besonders möchten wir unsere Trauer und unser Mitgefühl um die Getöteten und Verletzten des Anschlags, sowie ihren Angehörigen zum Ausdruck bringen.
Gehalten von RABA auf der Demonstration “Stoppt den antisemitischen Terror und Rassismus” auf der Domplatte in Köln am 10.10.2019