Antisemitismus auf Hanau-Gedenken – Ein Problem?!

Hui! Wer hätte gedacht, dass eine Kritik an einer antisemitischen Hetze im Rahmen einer antirassistischen Trauer- und Gedenkveranstaltung nicht selbstverständlich zur Distanzierung von den Antisemit_innen führt…

Die plötzlich im Raum stehenden “Fragen”, ob sich überhaupt von Antisemitismus distanziert werden muss, haben wir hierzu nochmal zusammengefasst und beantwortet.

1. Ist es nicht unsolidarisch, eine Rede auf einer antirassistischen Gedenkveranstaltung zu kritisieren?

Die am 19. Februar in Köln ausgerufene Parole „Freiheit für alle Palästinenser vom Fluss bis zum Meer“ (engl. „From River to the sea, palestine will be free“) zielt auf die Ablehnung einer friedlichen Zwei-Staaten Lösung und das Negieren jeden Existenzrechts Israels. Dies ist antisemitische Kackscheisse und hat auf einer Gedenkkundgebung zu Hanau nichts zu suchen.

Aus gutem Grund wird sich bei Trauer- und Gedenkveranstaltungen aus Respekt und Rücksichtnahme an den Interessen der Betroffenen orientiert. Betrachten wir den Wunsch der Angehörigen, Hinterbliebenen und Überlebenden des rassistischen Terroranschlages von Hanau: „fordern Aufklärung, weil die zuständigen Behörden seit Jahrzehnten auf den Rassismus nicht reagieren und eine Mitschuld tragen; Konsequenzen, damit die Rassisten entwaffnet und die Behörden grundlegend entnazifiziert werden; Gerechtigkeit, damit das Leid der Familien und Überlebenden anerkannt wird und sie die notwendige Unterstützung erhalten; Erinnerung, damit die Ermordeten niemals vergessen werden und so etwas nie wieder passiert.“ (s. 19feb-hanau.org/2020/08/21/pm-zur-demo/)

In Köln wurden zwei aufeinander aufbauende Reden gehalten, die das Attentat von Hanau gezielt als Einstieg für ein ganz anderes Thema genutzt haben: Für linke antisemitische Hetze in Richtung des jüdischen Lebens im Allgemeinen und in Richtung des Staates Israel  im Besonderen. Die Reden wurden von „Young Struggle“ und „Palästina spricht NRW“ gehalten. Dass es den genannten Gruppen nicht primär um das Gedenken an den rassistischen Terroranschlag ging, zeigte sich auch im Verhalten und Auftreten. Unmittelbar nach ihren eigenen Redebeiträgen verließen sie die Kundgebung direkt wieder.

2. Weshalb kritisiert ihr die Kapitalismuskritik von „Young Struggle“ und „Palästina spricht NRW“?

Dass es einen  Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Rassismus gibt, ist zunächst unzweifelhaft gegeben und sollte betont werden. Am Beispiel der gehaltenen Reden wird aber deutlich, dass dies keine Kapitalismuskritik war, sondern antisemitische Verschwörungsideologie unter dem Deckmantel der „Kritik“.

So benutzt Young Struggle den Begriff „Kapitalistenklasse“ bezogen auf den Staat Israel und behauptet, diese „Klasse“ sei schuld an der Situation der Palästinener_innen. Die Terrororganisation Hamas wird hingegen nicht in die Kritik einbezogen. Dabei leiden Palästinenser_innen zum Beispiel in Gaza unter der islamistischen Terrorherrschaft der Hamas.

Es wird deutlich, dass es Young Struggle und Palästina spricht NRW nicht um Kapitalismuskritik oder Solidarität mit der palästinensischen Bevölkerung geht, sondern schlicht um antizionistischen Antisemitismus.

3. Und was wäre eurer Meinung nach eine korrekte Kapitalismuskritik?

Zunächst einmal muss eine kapitalismuskritische Rede kein studentisches Co-Referat werden, bei dem die Versammlungsteilnehmenden schnell den Faden verlieren. Aber auch Vereinfachungen sollten nicht verzerren und korrekt sein.

Die Aussage, wonach der Kapitalismus die Herrschaft der Kapitalisten sei, wird dem Problem, welches der Kapitalismus darstellt und die er hervorbringt, nicht gerecht. „Wer kennt sie nicht, die tollen Karikaturen, wo dicke Männer in Schwarz mit Zylinder und Zigarre wieder dieses oder jenes verantworten oder befehlen. Das basiert auf der Vorstellung, „die Kapitalisten“ seien eine Gruppe von Menschen, die eng zusammenarbeiten. Die eigentliche Macht läge nicht bei der politischen Gewalt, sondern in der Ökonomie oder aber, die Politiker*innen seien nur Marionetten der Kapitalist*innen. Auf den Donnerstagstreffen der herrschenden Klasse muss ganz schön was los sein… So schlicht war das nicht einmal im 19. Jahrhundert, als diese Bilder entstanden sind.“ Ein Erklärungsmuster auf das Verschwörungsideolg_innen zurückgreifen, wie wir auch von den antisemitischen Pandemie-Befürwortern wie „Köln Aktiv“ und Rechtsextremen wissen. Hier ist es Bill Gates oder der jüdische Milliardär George Sorros, dort eine „Kapitalistenklasse“-Clique als die jüdische Weltverschwörung.

4. Nun geht es wieder um den Nah-Ost-Konflikt und nicht mehr um Hanau.  Wem hilft das?

Da es niemanden hilft, haben wir uns entschieden diese notwendige Kritik öffentlich zu machen.

5. Es ist doch rassistisch, Reden migrantischer Selbstorganisation zu kritisieren!

Wer denjenigen Rassismus vorwirft, die linken Antisemitismus kritisieren, betreibt einen leicht zu durchschauenden What-about-ism, um Kritik am Antisemitismus zu verhindern. Dass dieses Argument von denen ins Feld geführt wird, die dem Umfeld autoritärer stalinistischer und marxistisch-leninistischer Zellen zugerechnet werden, verwundert kaum: Antisemitismus und Judenhass ist bei ihnen Programm.

6. Palästina spricht NRW hat sich doch „deutlich jegliche Antisemitismus-Vorwürfe“ zurückgewiesen. Damit ist doch eure Forderung erfüllt?

„Palästina spricht NRW“ hat unsere Kritik bestätigt und sich nicht mit dem eigenen Antisemitismus auseinandergesetzt. Sie versuchen sich dem emanzipatorischen Diskurs mit einem autoritären Trick zu entziehen: Die Kritiker_innen ihrer Rede seien „von weißen, sich  antirassistisch und antisemitismuskritisch gebenden Gruppen“ geäußert worden und deshalb nicht berechtigt Kritik zu äußern.

Dass Jüdinnen und Juden in postkolonialen, antirassistischen oder intersektionalen Debatten als »weiß« markiert werden, ist keine Seltenheit. Eine solche Zuschreibungen versagt vor der Komplexität jüdischer Geschichte in Europa. In unreflektierten intersektionalen Debatten impliziert die Bezeichnung »weiß« stets, dass die so Bezeichneten zum herrschenden Teil der Gesellschaft gehören und keine Diskriminierung erfahren. Im postfaschistischen Deutschland verbietet es sich, den Begriff in diesem Sinne auf jüdische oder auf Menschen aus Osteuropa anzuwenden, die sich gleichwohl kaum als »nichtweiß« bezeichnen lassen.

Indem „Palästina spricht NRW“ ein Foto unter das Statement setzt auf dem die “Migrantifada“ gefordert wird, macht sie deutlich, dass sie nicht am Kampf gegen Unterdrückung, sondern an der Vernichtung jüdischen Lebens interessiert sind. Die Verschmelzung von „Migration“ und „Intifada“ legt offen, die Vernichtung (Intifada) der Jüdinnen und Juden in Deutschland zu forcieren. Dieser angebliche Kampf für eine gerechte Welt gegen Unterdrückung, für Freiheit und Frieden dieser Gruppe ist durchsichtige Heuchelei.

Keine Ausreden! Antisemitismus konsequent zurückdrängen. #NieWieder